Nach Joachim Bauer kommen wir ohne ein Selbst auf die Welt, das entsteht durch die Resonanzen, die wir von frühen Bezugspersonen erhalten. Anfänge eines ersten Selbst entstehen in den ersten 2 Jahren. Im unteren Teil des Stirnhirns entwickeln sich diese Selbst-Netzwerke.
Das Selbst, den "Ich-Sinn" beschreibt er als die schützende psychische Hülle des Menschen - in Analogie zur atmosphärischen Hülle der Erde.
Es ist dieses Selbst - das uns spüren lässt, welche an uns herangetragenen Angebote aus der Welt zu uns passen und zu einem stimmigen Teil unseres Selbst werden können und welche unserer Identität Gewalt antun würden. In den ersten 2 Lebensjahren übernimmt ein Säugling alles ungeprüft, was seine Bezugspersonen an ihn adressieren. Bildet aus diesen übernommenen Teilstücken sein Selbst, und erweitert es das ganze restliche Leben lang noch weiter.
Joachim Bauer hat eine interessante Definition von Trauma: "Ob eine Erfahrung ein Trauma ist oder nicht, entscheidet sich daran, ob das Selbst durch eine extreme Erfahrung der Hilflosigkeit seiner Möglichkeiten als Akteur vollständig beraubt und dauerhaft geschwächt wurde."
Durch das Buch und meine Bilder dazu verstehe ich wieder ein Stückchen mehr. Bei einem Trauma geht das Selbst verloren und mit ihm die schützende Hülle. Der Frontallappen wird heruntergedimmt und es schlägt alles in einen ein und nichts prallt ab und niemand da, der entscheidet, was nehme ich in mich auf und was nicht. Da kann ein Du an die Stelle des Selbst kommen (Stockholm-Syndrom) - durch Liebe, Gewalt oder wenn man sich einem Mitmenschen, Guru oder auch Therapeuten überlässt. Auch ein Therapeut darf nur kurzzeitig stabilisieren und als Hilfs-Ich dienen und diese Stelle nicht ewig besetzen.
In den Nervenzellen in denen das Ich wohnt, wird auch der signifikante Andere abgespeichert. Durch Resonanzprozesse unserer Selbstsysteme und Spiegelneuronen sind wir fortwährend im Austausch mit unseren Mitmenschen, darum ist es heilsam, sich mit Leuten zu umgeben, denen es gut geht. Da passiert viel unbewusst und der Selbst-Zustand einer anderen Person kann uns biologisch verändern.
Joachim Bauer zeigt im Buch den Weg, wie sich ein Kind optimalerweise entwickelt. Das reicht mir schon, um zu sehen, was in meiner Entwicklung gefehlt hat. Ich glaube mehr Psychologie-Bücher zur Suche nach Ursachen braucht es nicht. Interessant finde ich die verschiedenen Phasen, in denen sich das Selbst entwickelt - das ist für mich auch der Weg der Nachentwicklung eines Selbst.
Das Selbst ist also nicht schon bei der Geburt da - etwas, das man in sich finden und einfach freilegen kann. Dazu braucht es gute Anregungen von außen, gute Teilstücke, die man in sich integrieren kann, die wir von unseren Mitmenschen, aus Büchern, der Natur, Kultur usw. erhalten.
Ich finde es gut, dass wir in Deutschland die Chance und die Freiheit haben, eine Identität entwickeln zu können. Das ist nicht in allen Kulturen üblich.
Kommt mir so vor, als wäre ich jahrelang in Stockholm gewesen und mir fallen nun die ganzen für mich unpassenden Teilstücke auf, die ich durch Bücher, Videos, durch meine Therapie und durch andere Menschen in mich aufgenommen habe. Und ich glaubte zeitweise tatsächlich, da wäre ein einzigartiges Selbst im Körper, das ich freilegen könnte, wenn ich nur lange genug bei den Körperempfindungen verweile und in mich hineinhöre.
Das Buch lässt sich überwiegend gut lesen und enthielt ein paar gute Teilstücke zum Verständnis für mich. Inzwischen ist es als Taschenbuch erschienen. Zum Buch (mit Leseprobe) bei Amazon.de -> Wie wir werden, wer wir sind: Die Entstehung des menschlichen Selbst durch ResonanzHier gibt es ein ->Video im Youtube-Kanal der Arbeiterkammer Voralberg. Da unterhält sich Franz Köb mit Joachim Bauer über das Buch.