Das neurogene Zittern ist ein Mechanismus von Säugetieren, mit dem sich die im Totstellreflex im Körper festgehaltene Energie wieder lösen kann.
Vom neurogenen Zittern habe ich zuerst bei Peter Levine gelesen, der das am Beispiel von Tieren in der Wildnis erklärt. Wie so oft, wenn ich etwas neues lerne, mache ich anschließend passende Erfahrungen dazu:
Der Säbelzahntiger im Strassenverkehr
Es war einmal ein Säbelzahntiger im Straßenverkehr, der hat mich mit hochrotem Kopf und fletschenden Zähnen übelst angeschrien. Zu meinem offenen Autofenster kam da ein enormer Schwall Wut herein. Ich hatte kurz einen Impuls zurückzuschreien (Kampfreflex), aber nach einem gedanklichen checken der Lage: Hm, mein Auto hat er eingeklemmt, keine Fluchtmöglichkeit (Fluchtreflex), der ist völlig außer sich, geht mir vielleicht an die Gurgel – habe ich es gelassen. Da wurde mein Körper plötzlich eiskalt und total steif (Totstellreflex). Als der Säbelzahntiger weitergefahren ist, habe ich mein Auto vorsichtig in eine Lücke rollen lassen und bin noch einen Moment verwirrt sitzen geblieben. Da hat sich mein Körper heftig geschüttelt und wurde wieder schön warm. Anschließend habe ich noch eine Weile Wut in mir gespürt.
Das war kein schönes Erlebnis, aber ich würde sagen, zeitnah vollständig verarbeitet. Nur wie oft wurde ich in meinem Leben schon angeschrien und habe nicht gezittert? Da mir das Gen für vorauseilenden Gehorsam fehlt … sehr oft. Ohne dieses neurogene Zittern bleibt die für Kampf und Flucht bereitgestellte Energie im Körper und erzeugt da fürchterlichen Stress und Unruhe … und auch im Totstellreflex kann das autonome Nervensystem hängenbleiben.
TRE® – Tension & Trauma Releasing Excersises
Von Dr. David Berceli gibt es eine Folge von Körper-Übungen mit denen der Körper zum neurogenen Zittern gebracht wird. Er hat diese Übungen zur Heilung von Schocktrauma in Kriegsgebieten entwickelt um großen Menschengruppen schnell Entlastung zu bringen. Inzwischen machen auch Entwicklungstraumatisierte diese Übungen und TRE-Kurse werden zurzeit als die Wellness- und Relax-Oasen für gestresste Büroleute gehypt, die das nun langfristig und wohl auch regelmäßig bis täglich machen.
Ulrike Balke-Holzberger hat das noch mit dem aktuellen Faszien-Hype kombiniert und verkauft mit ihrem Buch „Zittern Sie sich frei!“ nun TRE als FSR (Faszien-Stress-Release). Im Buch sind die TRE Übungen enthalten, gezeichnet und gut beschrieben, so dass man sie damit nachturnen kann. Es gibt ein interessantes Kapitel über die Faszien und sonst geht es überwiegend um Stress und Schmerzen und wie problemlos man sich mit FSR von beidem befreien kann. Ein paar positive Erfahrungen ihrer Kursteilnehmer sind auch eingestreut. Laut Buch kann man die Übungen problemlos jederzeit alleine machen (im Zweifelsfall fragen sie ihren Arzt oder Psychiater). Trauma ist für sie kein großes Thema und um Entwicklungstrauma geht es darin gar nicht. Das finde ich fahrlässig, da ich diesen Stress als eine Traumafolge sehe und das den Entspannungssuchenden, die zu dem Buch greifen, vielleicht noch gar nicht klar ist … dass sie früh traumatisiert wurden, kein Selbst entwickelt haben und was da in ihnen an Emotionen wartet.
Das Buch gibt es bei Amazon.de -> Zittern Sie sich frei! Mit Faszien-Stress-Release Verspannungen, Ängste und Schmerzen auflösen oder im Buchhandel (Das ist kein Buch-Tipp von mir – aber wer eine Anleitung für die TRE Übungen sucht, wird hier fündig).
So richtig empfehlen möchte ich TRE oder FSR nicht, aber gelegentlich, wenn mein Körper schon von sich aus zittert mache ich auch kurz die letzte Übung. Durch diese entspannt sich wohl der Psoas Muskel, der das Fahrgestell mit dem Oberkörper verbindet. Die zwei Hauptübungen zeigt z.B. eine weitere Wellness-TRE-Autorin in diesem Youtube Video: ->Beata Korioth erklärt das neurogene Zittern.
Meine TRE Kritik
Bis auf die letzten beiden, sind die TRE Körperübungen unangenehm, belasten sehr die Knie. Ich traue TRE und starkem neurogenen Zittern zu, dass es Psychosen auslösen kann, wenn man nicht in der Lage ist, Gefühle im Körper zu halten. Mir ist selbst aufgefallen, dass da erst am Folgetag heftige Gefühle aufsteigen und überfordernd viel Energie im Körper ist – TRE ist für Laien schlecht dosierbar. Ich glaube das neurogene Zittern nimmt nie ein Ende, wollen die TRE/FSR Leute das nun ewig täglich machen? Also die einmalige Entladung nach einem Schocktrauma leuchtet mir eher ein als ein tägliches TRE-Entspannungs-Gezitter. Seit ich Stanley Rosenbergs ->Buch mit Übungen habe um den vorderen Vagus zu aktivieren, fällt mir noch auf, dass TRE das nicht bewirkt. Das scheint mir wichtig, weil dieses Social Engagement System Kontakt und Kommunikation erleichtert, ein Bereich der doch den meisten Stress verursacht.
In meiner Körpertherapie habe ich durch das Verweilen bei den Körperempfindungen diese Energien in den Körper in ganz kleinen Schritten langsam integriert, nur selten und vergleichsweise sanft abgezittert, die zugehörigen Gefühle gefühlt und dazugehörigen Themen bearbeitet. Dadurch haben sich fragmentarisch im Körper abgelegte Teile meiner Vergangenheit zusammengefügt und der Stress ist nun auch raus. Ich glaube TRE/FSR zittern alleine ist es nicht. Zur Heilung von Entwicklungstrauma braucht es dazu noch einiges an Bewusstseinsarbeit um die gestörten Muster im Beziehungssystem zu erkennen, die Körperspürarbeit zu machen und dazu eine gute therapeutische Beziehung, in der man mal ordentlich gespiegelt wird und das fehlende Selbst nachentwickeln kann.
Meine Therapeutin hat mir einst von TRE abgeraten und Dami Charf tut das in ihrem Traumablog auch – die halten beide nichts von Bioenergetik Übungen. Hm, sonst habe ich keine TRE Kritik im Internet gefunden – nur begeisterte Stimmen. Es ist auf jeden Fall gut von diesem neurogenen Zittern mal gehört zu haben. Falls dein Körper von sich aus zittert oder sonst Bewegungsimpulse zeigt, dann lass ihn das machen. Falls er es verlernt hat ist TRE vielleicht eine Möglichkeit ihn wieder daran zu erinnern. Wenn du dich nicht gerade wie ein Fels in der Brandung fühlst, wäre ein ausgebildeter TRE-Provider in deiner Nähe, bei dem du dich gut aufgehoben fühlst, sicher besser als ein Alleingang mit einem Wellness-Entspannungs-TRE-Buch.
Noch ein kleiner Nachtrag/Einschub: 2020 habe ich ein neues TRE Buch entdeckt, das auf Traumata eingeht und vor den TRE Übungen hinführende, stabilisierende Übungen anbietet. Ich habe es selbst nicht gelesen, doch das Inhaltsverzeichnis gefällt mir: Amazon.de -> Neurogenes Zittern: Stress & Spannungen lösen. Das Original-TRE-Übungsprogramm
Ferkels-Schwabbel-Release Übung
Also mein Weg ist TRE nicht, ich verfolge weiter die Strategie diese Kraft in den Körper zu bekommen, dort zu verteilen und zum Leben zu verwenden. Die macht mich stärker, gibt mir Energie um für mich einzustehen und mein Leben zu gestalten. Darum zeige ich hier noch meine persönliche FSR Übung (das ist nämlich die Abkürzung für Ferkels-Schwabbel-Release 🙂 ). Die nannte man früher mal Unterarmstütz, den halte ich solange, wie es geht, das ist nicht sehr lange … dann wackelt der Kopf, schwabbeln die Backen und der Mund macht Donald Duck Geräusche. Anschließend lege ich mich auf den Bauch, bis sich der Atem und das Herz wieder beruhigen und spüre nach wie sich die Kraft und Wärme sich im Körper und darüber hinaus verteilt und der Boden mich trägt. Mein Eindruck ist, dass ich dadurch belastbarer geworden bin, Emotionen immer besser im Körper halten kann.