Entwicklungstrauma und Verkörperung

Die Verkörperung ist die erste Hürde, die ein Mensch am Lebensanfang zu nehmen hat. Erstaunlich viele scheitern an ihr und bewohnen ihren Körper lebenslang nicht richtig. In der Folge entwickelt er sich nicht optimal: Verkümmerte Sinnesorgane, verminderte Gedächtnisleistung, verspannte Muskeln, Stress … führen zu einem eingeschränkten Erleben und zu Krankheiten. Ein paar Tipps und Methoden, um die Verkörperung nachzuholen.

Körperorientierte Psychotherapie

Zum ersten Verständnis des Phänomens und dem körper-psychologischen Weg der späten Verkörperung habe ich hier ein Youtube Video von der Traumatherapeutin, Dami Charf und ihrer Kollegin Sigrid Plate verlinkt:

YouTube -> Wie uns frühe Verletzungen und Entwicklungstrauma hindern uns in unserem Körper heimisch zu fühlen

Die Verkörperung beginnt schon während der Schwangerschaft und die Enge im Geburtskanal leistet einen weiteren wichtigen Beitrag dazu im Körper anzukommen. Das kann durch Übererregung bei der Geburt schon schief gehen und der Körper bleibt leer oder verspannt sich völlig. Auch ein Gegenüber ist wichtig, für die weitere Verkörperung. Es braucht Spiegelung/ die Beziehung zu einem Du für die Ich-Werdung. In einer therapeutischen Beziehung lässt sich das wohl nachholen, wenn der Körper in die Therapie mit einbezogen wird.

Ob ein erwachsener Mensch ein Therapeuten-Du zum Ich werden braucht? Das ist eine Meinung, das muss jede für sich selbst entscheiden. Es gibt auch die gegenteilige Empfehlung: Zurückgeworfen auf sich selbst, wird der Mensch zum Ich.


Bernd Senf über Wilhelm Reich

Wilhelm Reich war ein früher Körpertherapeut. Über sein Lebenswerk hat Bernd Senf 1999 eine Vorlesung gehalten, die auf YouTube verfügbar war. Aus der Reihe hatte ich mir das Video “Charakterpanzer, Krankheit und Körpertherapie“ angesehen und ein paar Notizen gemacht:

Die Lebensenergie kommt aus einer Quelle im Menschen, die möchte sich nach außen in die Welt entfalten. Wenn man in der Kindheit für jeden Lebensimpuls und emotionalen Ausdruck eins auf den Deckel bekommt, dann bildet sich eine Gegenenergie, die diesen Impuls selbst unterdrückt und verdrängt. Diese Verdrängung ist dann verinnerlicht und bleibt bestehen, auch wenn es den Hammer (Erziehung) eigentlich gar nicht mehr gibt. Es ist also nicht nur die Lebensenergie blockiert, es wird auch noch Energie benötigt für die Verdrängung.

Die Verdrängung geschieht durch eine Muskelanspannung im Körper, die diesen Impuls künftig unten hält. Das Gehirn kann diese Muskeln nicht mehr steuern, kann also die Anspannung nicht lockern und sich auch an das Ereignis nicht erinnern. In der Folge spürt man manche Bereiche des Körpers nicht mehr. Die Körperteile, in denen die Verdrängungen sitzen, werden schlechter versorgt, dadurch kommt es zu körperlichen Krankheiten.

Die Gesamtheit dieser Muskelanspannungen nennt Reich den Charakterpanzer eines Menschen, darin sind die frühen Erfahrungen eingefroren. Die Quelle sprudelt, solange ein Mensch lebt, doch durch die Blockierung dieser unglaublichen Energiemenge kann es zu getriebener Unruhe im Körper und auch zu psychischen Problemen kommen. Wenn sich da mal noch etwas entlädt, dann kommt es zu heftigen destruktiven Entladungen (Aggression) – nach außen oder gegen sich selbst gerichtet.

Wilhelm Reich erklärt mir meinen körperlichen Zustand auch gut – er hatte damals das „Trauma“ Wort noch gar nicht. Sehr interessant finde ich auch seine Unterteilung des Körpers in einzelne Segmente, in denen es zu Blockierungen kommt. Die Blockaden in den einzelnen Segmenten sollen von oben nach unten gelöst werden, weil sonst von unten gewaltige Energie weiter oben nicht durchkommt und diese Segmente dann verspannt.

Das klingt plausibel, das übernehme ich in mein Weltbild. Das erklärt mir, warum meine körperorientierte Psychotherapie (~Dami Charf ähnlich) zu einem fürchterlichem emotionalen Chaos im Körper geführt hat, das nicht mehr besser geworden ist. Ich bin eher der Verspannungstyp, also nicht leer.

Wir haben viel im Rumpf gearbeitet, das hat keine Verspannungen in Augen, Nacken und Kiefer gelöst und ein verspannter Kiefer ist eine Schnittstelle, die Kopf und Körper trennt. Dann kann die Energie nach oben nicht durch. Jetzt verstehe ich besser warum EMDR zur Traumaheilung eingesetzt wird, das fängt oben an, arbeitet mit den Augen.

Meine Tipps

Die physiologischen Auswirkungen von Trauma zu verstehen ist wichtig. Das Wissen ist inzwischen in Buchform verfügbar, man kann sich selbst einarbeiten, um Körper, Nervensystem und Gehirn besser zu verstehen. Das habe ich 2018/2019 mit folgenden Büchern gemacht: ->Selbstheilungsnerv (Polyvagaltheorie), ->Trauma Treatment Toolbox (Gehirn), die enthalten beide gute Übungen.

Damit ging es innerhalb eines Jahres steil aufwärts. Nach meinen jüngsten Erfahrungen würde ich sagen: Huch, die Entwicklungstrauma-Heilung und Verkörperung nimmt man am besten sportlich, mit viel Humor und heilt im Schlaf. Besser nicht so viele Psychologiebücher lesen, die bringen einen eher auf einen schlechten Trip und der Körper braucht Sicherheit damit sich die Amygdala wieder beruhigt.

Gewichtsdecke und kaltes Wasser

Mein Nervensystem ist beim Schwimmen in Flüssen spürbar angesprungen und ich habe ein Freibad entdeckt mit etwas kühlerem, ungechlorten, regelrecht lebendigen Wasser, das ähnliche Effekte gebracht hat. Dabei ist mir aufgefallen, das passiert auch durch den Druck, den das Wasser auf den Körper ausübt und habe mir (Sommer 2018) eine Gewichtsdecke gekauft. Damit habe ich diesen Effekt jede Nacht und mein Nervensystem heilt von alleine im Schlaf, das ist wie das pucken nachholen, was man mit Babys macht. Durch einen sensorischen leichten Druck auf die Haut bekommt der Körper ein Gefühl von Sicherheit und ein Gespür für seine Grenzen. Gewichtsdecken gibt es unterschiedlich schwer – es werden 10% des eigenen Körpergewichts empfohlen. Meine Gewichtsdecke war damals die einzige, die gibt es inzwischen nicht mehr. Dafür aber jede Menge andere, die sicher ebenso gut sind. Z.B. Amazon.de -> vendome-Therapiedecke oder sonst einfach nach Gewichtsdecke, Therapiedecke suchen.

Neuroathletik-Training

Mit Übungen kann man selbst die Sinne trainieren, von oben nach unten die Blockaden lösen und den ganzen Körper mit dem Kopf verbinden. Die beste Sammlung von Übungen habe ich erst 2019/2020 in einer für mich neuen Disziplin gefunden: ->Neuroathletik. Da mache ich nur eine Augen-Nacken-Übung für das Gleichgewichtssystem und habe sogleich eine nie da gewesene Stabilität im Körper – es ist unglaublich. Wenn die Hirnnerven wieder aktiv werden, gehen die rationalen Gehirnteile wieder online und dann ist das emotionale Chaos vorbei und die Probleme werden lösbar. Wer zu Übungen motiviert ist, kann wirklich selbst etwas tun, dafür muss man nicht mal sportlich sein. Das hätte meine Therapiephase wahrscheinlich erheblich verkürzt.

Bei der Verkörperung wacht das Nervensystem auf und die Nerven arbeiten sich nach und nach durch das komplette Fleisch. Dadurch füllt sich der Körper, man bekommt ein Bewusstsein für den Körperinnenraum und erfreut sich an der eigenen Lebendigkeit. Bei mir ist das schon ein mehrjähriger Prozess, geht immer weiter, wird immer besser, also: Üben, dranbleiben! Durch die Neuroplastizität des Gehirns, kann es alles, was am Lebensanfang gefehlt hat, noch nachholen und nachlernen.

Kann mal jemand ein Körperbewusstsein-Messgerät entwickeln? Finger reinstecken und dann ablesen, wie es um das Körperbewusstsein und den Stresslevel steht. Das sollte doch jeder Arzt in seiner Praxis haben.