Ich bin gerade wieder über einen Blogbeitrag gestolpert mit dem Titel:
„5 positive Gewohnheiten, die dich glücklich machen“.
Diese positiven Glücks-Lebensratgeber überschwemmen das Internet und gehen mir schon mit diesen Überschriften tierisch auf die Nerven.
Dem will ich mal einen Beitrag entgegensetzen.
Also hier die 3 Gründe warum dein Leben scheiße läuft:
- Du lebst in einer bindungsgestörten, traumatisierten und traumatisierenden Gesellschaft
- Du hast selbst eine Bindungsstörung u./o. Traumata
- Durch diese Ratgeber mit ihren völlig ungeeigneten Methoden denkst du noch du machst was falsch, weil du damit nicht glücklich wirst.
Trauma
Ein Trauma ist eine überwältigende Erfahrung, die unser Nervensystem/Gehirn nicht in Echtzeit verarbeiten kann. Das können schon Verletzungen, heftige Schmerzen, Operationen und Verluste sein, gestörte Bindungen zu anderen traumatisierten Personen im Umfeld oder heftige Gefühle, die nicht vollständig gefühlt werden (Angst, Wut, Ohnmacht u. Hilflosigkeit ..).
Bindungsstörung/Entwicklungstrauma
Von einem Entwicklungstrauma spricht man, wenn die Überwältigung schon am Anfang des Lebens passiert ist und die ganze nachfolgende Entwicklung eines Kindes beeinträchtigt.
(Siehe z.B. Dami Charf – Entwicklungstrauma u.a. Videos)
In diesem Videovortrag erklärt sie die Stressresistenz des Nervensystems mit dem Window of Tolerance – innerhalb dieses optimalen Bereichs fühlen wir uns wohl, da funktioniert auch die soziale Interaktion am besten. Dieses Fenster ist bei jedem Menschen unterschiedlich hoch und ist durch Schwangerschaft, Geburt und die Erfahrungen der ersten Lebensjahre bereits festgelegt.
Die Amplitude des Sympathischen Nervensystems (Erregung) geht nach oben die parasympathische (Beruhigung) nach unten. Bei einer traumatischen Erfahrung stellt der Körper viel Energie bereit – für Kampf oder Flucht. Wenn wir weder kämpfen noch fliehen können dann sorgt der Hirnstamm für den Totstellreflex, der Körper geht in die Erstarrung. Die Energie wird dann nicht verbraucht und kann zu Dauerstress im Körper führen, wenn das autonome Nervensystem anschließend nicht zurück in die Entspannung findet. Auch der Totstellreflex kann chronisch werden und den Menschen in jahrelangen depressiven Zuständen festhalten.
Frühkindliche Entwicklung
Die positiv Coaches haben ja manchmal so ein Bild vom Menschen: Er ist facettenreich und hart wie ein Diamant.
Ich denke Menschen sind schon facettenreich aber deutlich fragiler und verletzbar – vor allem am Anfang des Lebens. Ich nehme anstatt einem Diamanten hier mal eine Diskokugel zur Illustration.
Wenn ein Kind sicher gebunden ist bildet es ein stabiles Ich-Gefühl heraus, mit sicheren Grenzen. Dazu braucht es eine Mutter, die den Säugling, wenn er weint und schreit, reguliert und beruhigt. Das Nervensystem eines Babys ist noch nicht fertig, das passt sich an das Umfeld an, in das es hineingeboren wurde.
Wenn ein Baby keine sichere Bindung zur Mutter hat, dann entwickeln sich weder ein ordentlicher Ich-Kern noch stabile Grenzen. Das Nervensystem ist dann auch nicht belastbar und das Kind ist nicht in Sicherheit, das heißt es ist dauernd gestresst. Weil es sich selbst noch nicht regulieren kann, spaltet es sich vom Körper ab, der Stress bleibt im Körper.
Damit sich die Diskokugel-Facetten entwickeln braucht ein Kind seine Neugier und Eltern die es sehen, mit ihm sprechen und auf seine Bedürfnisse eingehen und es freundlich anschauen. Die Realität sieht leider oft anders aus: Eltern die selbst traumatisiert sind, keinen Zugang zu ihren Bedürfnissen und Gefühlen haben, keine Zeit haben für ihre Kinder, sie als Besitzobjekte sehen, die mit Macht und Manipulation Gehorsam einfordern und die ihnen nur für Leistung Anerkennung geben … und schlimmeres.
So bildet sich höchstens noch eine abgeschlaffte Diskokugel mit nur wenigen Spiegeln, die nicht weiß was sie will und gehorsam tut, was die anderen tun oder von ihr erwarten. Wenn das Leben noch mit weiteren Erschütterungen kommt kann auch noch die Sinn Facette abfallen – dann folgen Depression und Burn-Out …
So erkläre ich mir den aktuellen Zustand der Menschheit. Dauergestresste Menschen, immer im Kampfmodus, die zur Kompensation nun unglaubliche sportliche und berufliche Leistungen bringen. Die in ihren Körper nicht anwesend und kommunikativ nicht erreichbar sind.
Wie kommt das in Ordnung?
Wie bekommt man den Sack dicht, wie wird er gefüllt und bekommt Sinn und Facetten ran? Nun, das muss wohl jede/jeder selbst herausfinden. Mich hat die Arbeit mit dem Körper angesprochen und das ist meine Liste, was ich alles gemacht habe:
- Ich hatte eine körperorientiert arbeitende Therapeutin, die mit sich selbst gut in Kontakt war (Präsenz). Sie hat mich 1 Jahr lang ca. 1h wöchentlich beim verweilen bei meinen Körperempfindungen begleitet. Alles durfte so sein, wie es eben ist und ich war diesmal nicht alleine mit meinen Gefühlen und Problemen. Alles sagen dürfen und verstanden werden ist heilsam und auch dass da jemand ganz da ist und mit hinspürt. Dabei hat sich mein Nervensystem wieder etwas reguliert.
- Selbständig weiterüben, damit sich das Körperbewusstsein verbessert. Mit Mike Hellwigs „->Radikale Erlaubnis“ bei den Körperempfindungen in Rumpf/Bauch verweilen – das ist wie den laschen Sack wieder füllen. Mit dem spüren der Körperempfindungen heilt der Hirnstamm, man kommt an die verdrängten Gefühle wieder ran und wenn sie auftauen, kommt viel Energie in den Körper zurück. Jetzt angenehme und unangenehmen Gefühle vollständig fühlen und nicht wieder verdrängen.
- Es gibt sehr gute Selbsthilfe-Übungen, die das autonome Nervensystem wieder flexibel machen (siehe Buchtipp: ->Der Selbstheilungsnerv, ->Neuronale Heilung)
- Impulse, die aus dem Körper kommen, wahrnehmen. ->Zittern, schütteln, gähnen, stöhnen, strecken, beugen, tanzen, rennen, sich selbst befriedigen, ausruhen .. der Körper weiß was ihm gut tut, damit kann er sich selbst wieder von Stress befreien.
- An den Körpergrenzen arbeiten. Durch Massage, kalt duschen, schwimmen, die Körpergrenzen spüren, die Füße am Boden/die Socken spüren, sich auf dem Boden herumwälzen.
- Die ganze abgespaltene Wut in den Körper integrieren und Nein sagen lernen. Darauf achten und sich wehren, wenn einem Menschen zu nahe kommen, einen emotional verstricken oder vereinnahmen. Eine gesunde Aggression entwickeln, die eigenen Symbiosemuster erkennen. (siehe Buchtipp: ->Symbiose in Systemaufstellungen)
- Eine Menge Spiegel bekommt man ran, wenn man seinen Schatten annimmt, also alle Eigenschaften, die man bisher an sich ablehnt hat.
- Für die Facetten ist es gut in sich zu hören, was einen interessiert, was man wirklich will und das zu verfolgen. Wieder ins Handeln kommen!
Ich bin nun nicht etwa endgültig "In Ordnung" oder im Paradies. Die Herausforderungen und traumatischen Lebenserfahrungen hören ja nicht auf - aber ich habe jetzt öfters schönes Wohlbehagen in mir und für Turbulenzen ein paar gute Methoden, um sie zu verarbeiten.
Fazit: Glücksratgeber meiden
Die ganzen Glücksratgeber, spirituelle Bücher und Methoden fühlen sich vielleicht kurzzeitig gut an, können dich aber vom Kern des Problems, vom Körper und den anderen Menschen weit wegführen. Heilung geschieht über und durch den Körper und in guten realen Beziehungserfahrungen. Falls es dir sehr schlecht geht, dann hole dir bitte professionelle Hilfe.